AH: Du bist in Seoul, Korea, aufgewachsen. Prägte dein kultureller Hintergrund deine Kunst, auch nachdem du früh nach Deutschland zogst? Wie beeinflusste das deine kreative Vision und den Start deiner Karriere in Deutschland?
JC: Mitte der 90er-Jahre kam ich nach Deutschland, studierte in Kassel und zog nach dem Abschluss nach Berlin - ohne Verbindungen zur Kunstszene dort. Also war ich viel unterwegs, um in die Kunstszene einzutauchen. Ich habe ein Gemeinschaftsatelier organisiert, um andere Künstler:innen kennenzulernen und gemeinsam Ausstellungen zu machen.
In Korea hatte ich zuvor Malerei studiert, was mich damals sehr geprägt hat, war die Beschäftigung mit dem Wort "Yeo Baek". Es bezeichnet grob übersetzt eine leere Fläche. Im europäischen Kontext ist das ungefähr vergleichbar mit dem "Weißraum". Es handelt sich aber nicht nur um einen leeren Raum, sondern um eine Auslassung, die mit der richtigen Platzierung und der Ausdruckskraft der Künstler:innen eine enorme Kraft ausüben kann, z. B. durch Zurückhaltung und Kühnheit in der Komposition. Ich denke, das war ein großer kultureller Einfluss.
AH: Du hast zunächst Malerei studiert, bist dann jedoch zu immersiven Lichtinstallationen übergegangen. Kannst Du den entscheidenden Moment oder die Erfahrung beschreiben, die Dich dazu gebracht hat, mit Licht, Raum und Fäden in Deiner Kunst zu experimentieren?
JC: Meine Malerei in Korea hatte eine gewisse Nähe zum deutschen Expressionismus. Mir ging es darum, die gegenständlichen Formen zu reduzieren und nur noch mit Linien und Flächen zu arbeiten. Ich malte sehr großformatig, manchmal auf 6 - 7 Meter langen Leinwänden, und selbst diese Fläche war oft nicht ausreichend für mich. Später merkte ich, dass ich meine Kunst in den dreidimensionalen Raum erweitern wollte. Während meines Studiums in Korea war ich ein Teil einer studentischen Gruppe über Kunst und Architektur, lernte viele Architekt:innen kennen, war fasziniert von neuen und interessanten Bauformen und habe gelernt, mit dem Raum zu arbeiten.
Damals dachte ich kurz darüber nach, nach meinem Kunststudium vielleicht sogar Architektur zu studieren. Als ich für mein zweites Studium nach Deutschland kam, habe ich angefangen, mich langsam von der Malerei zu trennen und von der Fläche in den Raum zu gehen. Ich habe Werkzeuge gesucht, die Pinsel und Ölfarben ersetzen können und mit denen ich gleichzeitig und frei mit Linien, Flächen und Farben arbeiten kann.
Eines Tages sah ich eine Schaufensterdekoration aus Fäden, die mich inspirierte, dieses Material anstelle von Pinsel und Ölfarbe für Zeichnungen auf Leinwand und Papier zu verwenden. Später übertrug ich diese Arbeiten in den Raum und entwickelte zwei- und dreidimensionale Formen, mit wachsendem Interesse an Raum und Architektur. Dadurch entdeckte ich auch Schwarzlicht: Im Tageslicht mussten meine Werke oft mit dem Raum um Aufmerksamkeit kämpfen, und in manchen Umgebungen wirkten sie kaum. Meine Lösung war, den Raum zu verdunkeln und mit Schwarzlicht die Fäden hervorzuheben - die Linien treten in den Vordergrund, der Raum zurück. Für mich ist der dreidimensionale Raum ein Blatt Papier, auf das ich mit Linien eine neue Realität zeichne.
AH: In deinen Installationen balancierst du zwischen geometrischer Präzision und organischer Fluidität. Wie entwickelst du diesen räumlichen Dialog zwischen dem Natürlichen und dem Konstruierten?
JC: Ich sehe mich als Zeichnerin und bezeichne meine Installation als "Drawing in Space", da ich vor allem mit Linien arbeite. Die Planung erfolgt am Computer, doch vor Ort muss ich oft spontan auf unerwartete Hindernisse reagieren. Der Prozess ist sehr körperlich und oft von repetitiven Bewegungen geprägt. Zu Beginn zeichne ich frei im Raum mit einzelnen Fäden, passe die Installation aber an den vorhandenen Raum an, der mal geschlossen und abstrakt, mal in die Natur eingebunden ist. Das erfordert Fingerspitzengefühl und Präzision, denn meine Arbeit verbindet exakte Flächen mit einer organischen Form, die stets auf die Umgebung eingeht.
AH: Das Erdbeben von 2013 hat einen bleibenden Eindruck bei dir hinterlassen. Inwiefern hat dieses Erlebnis deine künstlerische Arbeit beeinflusst, insbesondere in Bezug auf Struktur und Instabilität? Hat das Gefühl der Erschütterung deine Herangehensweise an Installationen verändert oder neue Ideen inspiriert?
JC: Ja, die Erfahrung des Erdbebens hat meine Arbeit beeinflusst. Ich habe 2013 ein Erdbeben in Athen erlebt, als ich für eine Ausstellung dort war. Das war nichts im Vergleich zum Tohoku-Erdbeben 2011 in Japan. Aber ich hatte große Angst und konnte die Plattenbewegungen und Erschütterungen spüren. Es war ein sehr seltsames Gefühl, das ich nicht vergessen konnte. Dann begann ich zu recherchieren und kam auf die Idee, die Aufzeichnung von Naturphänomenen in meine Arbeit zu integrieren. Dieses Erlebnis führte dazu, dass ich Naturphänomene in meine Arbeit einbeziehen wollte. Ich begann, natürliche und künstliche Lichtquellen zu kombinieren, um die zeitliche Transformation meiner Installationen zu zeigen. Die Fäden nutze ich dabei als zentrales Element, um mit ihrer fragilen Stabilität eine Struktur zu schaffen, die an das Gleichgewicht von Stärke und Zerbrechlichkeit erinnert.
AH: Viele Besucher:innen möchten wissen, welche Materialien du verwendest und fragen oft, woraus die Linien bestehen. Kannst Du uns mehr über die Fäden und Deine technische Herangehensweise erzählen?
JC: Die Fäden für meine Installationen lasse ich in einer Fabrik in Korea herstellen. Anfangs hatte ich mit Wollfäden zu kämpfen, die durch Witterung und Luftfeuchtigkeit schnell an Spannung verloren und präzise Formen fast unmöglich machten. Nach langer Suche fand ich eine spezielle Faser, die auch in Kleidung und Sporttextilien eingesetzt wird und hohe Stabilität bietet.
Durch ihre Präzision und außergewöhnliche Struktur schafft die Installation einen digitalen Effekt, der fast unnatürlich wirkt. Dabei erzeugen meine Arbeiten eine Spannung, die sich aus den Gegensatzpaaren „Stärke" und „Verletzlichkeit", „Sicherheit" und „Risiko" ergibt.
AH: Gibt es einen bestimmten Ort oder Raum, an dem Du in Zukunft gerne eine Installation verwirklichen würdest? Welche Visionen oder Projekte hast Du für kommende Installationen, und wie beeinflusst der Standort Deine Ideen und die Umsetzung Deiner Arbeiten?
JC: Zurzeit beschäftige ich mich intensiv mit positiven und negativen Räumen sowie dem Zusammenspiel von gefüllten und leeren Flächen. Besonders faszinieren mich architektonisch interessante Räume, die eine direkte Verbindung zur Architektur herstellen. Zum Beispiel würde ich gerne im Kunstraum Dornbirn eine Installation realisieren, da die hohen Wände und die geometrische Struktur der Fenster spannende Wechselwirkungen mit meinen Fadeninstallationen ermöglichen könnten.
Ich träume auch schon lange davon, eine Installation an der Grenze von Süd- und Nordkorea zu realisieren, um die verlorene Verbindung zwischen beiden Ländern symbolisch durch die Fäden neu zu knüpfen.
Für das nächste Jahr sind bereits zwei Ausstellungen geplant: eine im Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna und eine im LVR-Industriemuseum Textilfabrik Cromford. Diese Orte bieten sehr unterschiedliche Umgebungen - ein unterirdischer Tunnel in Unna und ein schwarz verkleideter Raum im Textilmuseum - und inspirieren entsprechend variierende Installationen, die jeweils durch den Raum selbst geprägt werden.
Studio Fotografie: Laura Niederhoff