Das vergangene Jahr war wirklich intensiv und voller Herausforderungen. Die Professur, die zahlreichen parallel laufenden Projekte und das damit verbundene Reisen unter einen Hut zu bringen und dabei sowohl den äußeren als auch den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, war und ist keine leichte Aufgabe.
Was mich antreibt, ist zum einen eine innere Unruhe – der Drang zu experimentieren, zu wachsen und über Dinge nachzudenken oder zu lernen, die ich vorher noch nicht denken konnte. Zum anderen sind es die Begegnungen und der Austausch mit Menschen, die durch das Gestalten von Räumen entstehen.
Sowohl in der Kunst als auch in der Lehre empfinde ich es als unglaublich bereichernd, Räume und Erfahrungen zu schaffen, die Kommunikation, Wissen und Empathie fördern. Diese Räume können ganz unterschiedlich sein – manchmal sind es große, begehbare Installationen, die zum Nachdenken anregen, und manchmal ist es einfach eine heiße Tomatensuppe, die Menschen zusammenbringt.
In unserer Ausstellung steht das Zusammenspiel von Wasser und (Sonnen-)Licht im Fokus. Wie wählst du die Materialien für solche Arbeiten aus? Und wie gelingt dir die Balance zwischen natürlichen und technischen Elementen in deiner Kunst?
Die Arbeit mit dem Material ist gleichermaßen intuitiv wie auch ein systematischer Prozess. Es beginnt meist mit dem Interesse an einem bestimmten Effekt, dem ich dann über Experimente nachspüre, um ihn zu verstehen und reproduzieren zu können. Über das Beobachten, das spielerische Ausprobieren und akribische Testreihen arbeite ich mich langsam vor.
Dabei stehe ich immer wieder vor der Herausforderung Dinge zu skalieren. Denn nur weil etwas im Kopf oder in einem 20cm großen Modell funktioniert, heißt es noch lange nicht, dass das Ganze auch in 2 oder 20 Metern noch so wirkt. Dabei ist das Material ein bisschen wie eine Diskussionspartnerin, manchmal sind wir uns schnell einig, manchmal brauchen wir mehrere Monate um uns zu verstehen und zu harmonieren.
Deine Projekte wirken oft aufwändig und fordernd - gibt es bei dir so etwas wie einen Alltag? Und wie findest du darin Zeit und Inspiration für neue Arbeiten?
Einen richtigen Alltag gibt es nicht, dafür passieren ständig zu viele Ausnahmen. Es gibt Tage an denen ich das wunderbar finde und andere an denen ich das verfluche. Die meisten Tage und Wochen sind sehr voll, sodass ich mich gut strukturieren muss. Kleine Rituale helfen mir um in der Fülle der Verpflichtungen nicht unterzugehen. Derzeit ist es u.a. Gorgonzola-Pasta einmal die Woche am gleichen Ort zur gleichen Zeit.
Für Inspiration muss ich nicht gesondert Zeit finden. Die Inspiration ist Teil des Weges.
Ein zentraler Teil deiner künstlerischen Praxis ist die Forschung. Wie strukturierst du diesen Prozess? Gibt es spezifische Fragen, die dich immer wieder antreiben, oder Bereiche, die du tiefer ergründen möchtest?
Ein zentraler Teil meiner künstlerischen Forschung dreht sich um die Frage, wie Räume auf unsere Wahrnehmung wirken und wie sich diese Wahrnehmung durch physische oder konzeptionelle Eingriffe verändern lässt. Themen wie Propriozeption, Kontingenzerfahrungen und die Wahrnehmung von Realitäten begleiten mich dabei immer wieder, allerdings auf unterschiedliche Weise und mit wechselnder Intensität.
Mein Forschungsprozess ist stark geprägt von meinem Designstudium, das mich gelehrt hat, iterative Methoden anzuwenden. Am Anfang steht häufig eine Ausgangsfrage, die ich durch Experimentieren und Reflektieren weiterentwickle. Dabei unterscheide ich zwischen Phasen des „Explodierens“, in denen ich Ideen sammle und vielfältige Ansätze ausprobiere, und Phasen des „Verdichtens“, in denen ich mich gezielt auf ausgewählte Konzepte fokussiere. Ich arbeite dabei häufig mit Skizzen, Modellen und Materialexperimenten, um Ideen nicht nur gedanklich, sondern auch praktisch zu erproben.
Was mich antreibt, ist die Hoffnung, Räume zu schaffen, in denen Gewohnheiten und Erwartungen hinterfragt werden können – sowohl von mir selbst als auch von den Betrachter:innen. Es fasziniert mich, wie subtil Raumwahrnehmung ist und wie sie durch kleine Interventionen verändert werden kann. Diese Verbindung zwischen Forschung, Experiment und der späteren Begegnung mit dem Publikum macht diesen Prozess für mich so erfüllend.
Wir sprechen oft über die Herausforderungen auf dem Weg zur Umsetzung deiner Werke - sei es, das richtige Material, die passende Folie oder verlässliche Produzenten zu finden. Das ist ein Teil deiner Arbeit, der oft unsichtbar bleibt. Welche Rolle spielt dieser Prozess für dich? Würdest du sagen, dass er das fertige Werk entscheidend mitprägt?
Es ist auf jeden Fall ein sehr zeitaufwändiger Teil meiner Arbeit. Manchmal versucht man ein Problem zu lösen und dadurch tauchen plötzlich zwei neue Probleme auf, die nicht antizipierbar waren. Vor allem das Beschaffen von (möglichst) fehlerfreiem Ausgangsmaterial ist mitunter sehr frustrierend und auch teilweise zeit- und kostenintensiv. (z.B. wenn auch die dritte Glasscheibe mit Kratzern geliefert wird).
Bei allem hilft es zu versuchen in Bewegung zu bleiben bzw. unter Zeitdruck den inneren MacGyver zu kanalisieren um mit den vorhandenen Mitteln eine produktive Lösung zu finden. Aufgeben ist keine Option. Und oft entdeckt man durch die Umwege neue spannende Dinge.
Gibt es Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen oder auch persönliche Erfahrungen, die deine künstlerische Entwicklung nachhaltig beeinflusst haben?
Meine künstlerische Entwicklung ist ein fortlaufender Prozess – ein ständiges Werden, geprägt von vielen kleinen, oft unscheinbaren Momenten, aber auch von besonderen Erlebnissen, wie dem Besuch wichtiger Ausstellungen.
Schon als Kind war ich fasziniert von Musicals. Jedes Mal saß ich beeindruckt im Publikum und versuchte zu verstehen, wie die unterschiedlichen Effekte auf der Bühne geschaffen wurden. Diese Neugier hat mich in meiner Jugend begleitet. Meine ersten Praktika machte ich bei Filmproduktionen im Set-Design und Kulissenbau. Mit begrenzten Mitteln kreativ zu sein, war dabei eine wertvolle Lektion. Einmal mussten wir eine mittelalterliche Küche bauen, hatten aber kaum Budget. Wir holten uns Material aus dem Müllcontainer einer benachbarten Hollywood-Produktion, die gerade ein Raumschiff gebaut hatte. Aus den Resten, kombiniert mit Sand, Kleber, Acrylfarbe und der richtigen Beleuchtung, entstand schließlich ein überzeugender mittelalterlicher Steinboden.
In den letzten Jahren waren es vor allem Begegnungen mit anderen Künstlerinnen, die mich inspiriert haben. Durch das Women in Lighting-Netzwerk hatte ich die Möglichkeit, internationale Künstler:innen kennenzulernen und mich auszutauschen. Anfang des Jahres war ich mit einer Arbeit zu einer Gruppenausstellung in Hongkong eingeladen, organisiert in Zusammenarbeit mit Studio Zaha Hadid. Die Vernissage fand am Weltfrauentag statt, und am ersten Abend saßen wir – zehn großartige Künstlerinnen, Architektinnen und Kuratorinnen – gemeinsam beim Abendessen. Es war beeindruckend, so unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen zu teilen, und schön zu erleben, wie unterstützend und offen dieser Austausch war.
Jacqueline Hen — Off Grid, 2024
72 x 52 x 10 cm — Edition of 8 + 2AP
Wenn du frei wählen könntest - gibt es ein Projekt, das du unbedingt noch verwirklichen möchtest? Oder einen Ort, an dem du einmal ausstellen würdest?
Gleichzeitig faszinieren mich auch ungewöhnliche Architekturen und Räume, die ursprünglich nicht für künstlerische Zwecke gedacht sind. Gerade diese Orte bieten oft eine besondere Herausforderung und Inspiration, weil sie so unvermittelt wirken. Ein Ort, der mich im letzten Jahr besonders beeindruckt hat, ist der Bassin d’Austerlitz – ein riesiges Überlaufbecken, das im Rahmen der Olympischen Spiele in Paris gebaut wurde.
Deine Arbeiten laden zur Reflexion ein, schaffen Räume für Begegnung und Transformation. Was möchtest du, dass die Betrachter:innen aus deiner Kunst mitnehmen? Gibt es eine Botschaft oder ein Gefühl, das du transportieren möchtest?
Ich finde es spannend, neue Perspektiven auf die eigene Wahrnehmung und die eigene Position in Räumen zu hinterfragen. Statt einer konkreten Botschaft geht es mir eher um die Schaffung von Erfahrungsräumen, in denen Gewohntes hinterfragt werden kann. Das ist, was mich antreibt und die Hoffnung jene Erfahrung den Betrachter:innen zu ermöglichen.